Mobbingstreifen | Fahrradzukunft – Ausgabe 18

Quelle: Gabriele Köpke • Fahrradzukunft – Ausgabe 18 • April 2014

Verkehrschaos

Berlin, Frankfurter Allee | Quelle: Wikimedia CommonsPeer Grimm, Bundesarchiv, Bild 183-1991-0131-304CC BY-SA 3.0

Grundsätzlich dürfen sich alle Lebewesen frei bewegen. Die Deutsche Verfassung garantiert ihrem Volk unveräußerliche Menschenrechte. Autoverkehr und die damit einhergehende Zerstörung des Lebensraums, des Lebens und der Gesundheit ist aber als „Allgemeinwohl“ eingestuft und steht über dem Artikel 1 der Deutschen Verfassung. Wirtschaftliche Interessen stehen über der Würde des Menschen.

Separierung des Straßenraums

Die Separierung des zur Verfügung stehenden Straßenraums ist ein Eingriff in die elementaren Grundrechte der Menschen. Nur noch Menschen, die Fahrzeuge mit hoher kinetischer Energie (vulgo Kraftfahrzeuge) benutzen, erhalten das Recht, sich frei zu bewegen. Das durch die Verfassung garantierte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit stellt der Staat durch die Beschränkung der Freiheit der potentiellen Opfer her. Der § 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung verbietet sogar Menschen, die sich infolge körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen nicht sicher im Verkehr (auch auf dem Gehweg) bewegen können, alleine an die frische Luft zu gehen. Das war nicht immer so:

„Mit dem Einzug in den öffentlichen Raum sah sich der Kraftverkehr in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst mit größter Missachtung konfrontiert. Massenweise fielen ihm FußgängerInnen – zur Hälfte Kinder – zum Opfer, welche die Straßen in bisher gewohnter Weise nutzten. Doch ein von der Automobillobby geschickt eingesetzter Begriff sollte das Schuldverhältnis zwischen Gefährdenden und Gefährdeten ins Gegenteil verkehren: das Jaywalking.

‚Jay‘ bedeutete umangssprachlich so viel wie Tölpel und war eine abfällige Bezeichnung für vermeintlich ungeschickte Menschen vom Land. […] Nicht mehr die- oder derjenige sei der schuldhafte Rüpel, der sein Kraftfahrzeug mit übermäßiger Geschwindigkeit durch dichte Stadtstraßen steuerte und dabei Menschen tötete, sondern rüpelhaft war von nun an, sich im Straßenraum ohne ‚Rücksicht‘ auf Fahrzeuge zu bewegen.“ (aus: „Alle Macht den Rädern“)

Damit gelang es durch die Jaywalking-Kampagne in den 1920er und 30er Jahren, die öffentliche Sichtweise vollständig umzukehren: Vorher wurden die Täter (Autofahrer) verfolgt und bestraft, teilweise wohl auch durch Lynchjustiz, während die Opfer sogar öffentlich betrauert wurden. Mit der Kampagne wurde dieses Verhältnis ins Gegenteil verkehrt, was letztlich auch in die Gesetzgebung Einzug fand (vgl.: murdermachines).

Othering“ nennen Psychologen diesen Prozess, „der es Privilegierten Personen erlaubt, die Marginalisierten als weniger menschlich zu betrachten und dabei diskriminierende und stigmatisierende Verhaltensweisen gegen sie zu rechtfertigen“. … ► weiterlesen

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