Sven Böttcher: Quintessenzen

Quelle: Rudolf Novotny • Berliner Zeitung • 02.09.2013

Hamburg – Das Sterben ist die lustigste Anekdote des Tages. Er lag also da, erzählt Sven Böttcher, auf diesem Bett, bei meiner Mutter, kein Gefühl in Armen und Beinen. Und das weiße, wunderschöne Licht, das hatte ich auch schon gesehen. Böttcher blickt durch die Glastür seines Wohnzimmers auf die Terrasse, die in den Garten führt. Ein Dschungel. Es regnet, die Tropfen verschwinden im Grün. „Da sagt meine Mutter: Bald bist du erlöst. Deine Schmerzen, die wären endlich vorbei. Ich: Ist lieb gemeint, danke. Ich hätte aber Bock, noch so’n bisschen am Leben zu bleiben.“
Sven Böttcher kichert. Er ist ein guter Geschichtenerzähler. Das Timing stimmt, die Pointe sitzt. Man muss mitkichern. Obwohl man sich die Geschichte anders vorgestellt hat. Trauriger. Ein Bestsellerautor, der Thriller und Fernsehfilme schreibt, der die TV-Talkshow „Beckmann“ mitentwickelt hat, erkrankt an Multipler Sklerose, MS. Die Krankheit verläuft so rasant, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Er weiß, er wird nicht sehen, wie seine drei kleinen Töchter aufwachsen. Er setzt sich hin und beginnt für sie aufzuschreiben, was wichtig ist im Leben. 150 Seiten „Quintessenzen“. Sätze wie: Liebe kennt kein Ego – Verliebtheit kennt nichts anderes. Oder: „Mach lieber Fehler, als gar nichts richtig.“ Böttcher blickt auf das Leben in dem Moment, in dem es vorbei scheint. Ein 150 Seiten langer Abschiedsbrief, geschrieben, wie Sven Böttcher erzählt: mit einem Gefühl für Timing und Pointe.… ► weiterlesen

Sven Böttchers Blog
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Orwell war noch zu optimistisch

Quelle: Götz Eisenberg • NachDenkSeiten • 28.10.2015

Unter der Überschrift Er wird, er wird nicht, er wird … berichtet die TAZ vom 24./25. Oktober 2015 über den Einsatz von Algorithmen in der Verbrechensbekämpfung. Auch hierzulande treten statistische Verfahren ihren Siegeszug an und verdrängen andere Ansätze des Umgangs mit Straftätern. Ein Kommentar von Götz Eisenberg.

Der amerikanische Soziologe Richard Berk arbeitet seit etlichen Jahren mit den ausgefeiltesten statistischen Programmen daran, immer genauere Vorhersagen zu treffen. Wird jemand seine Kinder schlagen, wird jemand morden? Berk sagt, dass er für ungeborene Babys jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit prognostizieren könnte, ob aus ihnen einmal Verbrecher werden. Noch traue sich da keiner ran, das werde sich aber bald durchsetzen.

Berk gilt auf seinem Gebiet als einer der besten in den USA, vielleicht sogar in der Welt. Seinen neuesten Algorithmus hat er für eine Behörde in Pennsylvania entworfen, die darüber entscheidet, ob jemand auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wird. Das Programm soll Wahrscheinlichkeiten dafür liefern, ob ein Gefangener draußen wieder ein Verbrechen begehen wird und wenn ja, ob dieses eine Gewalttat sein wird.

[…] Parallel zu dieser Entwicklung machen Neurowissenschaftler sich anheischig, die Prognose von Straftätern aus deren Hirnströmen herauslesen zu können. Ein Pädophiler möchte vorzeitig aus der Haft entlassen werden. Man zeigt ihm kinderpornografische Aufnahmen und scannt währenddessen sein Gehirn. Zeigen sich in bestimmten Hirnarealen Anzeichen von Erregung, bleibt er drin. Der amerikanische Hirnspezialist James Fallon hat jahrelang Verbrecher in den Computertomographen geschoben und die Besonderheit ihre Hirne betont. Er war, ganz ähnlich wie Richard Berk, davon überzeugt: Nicht der Mensch entscheidet, ob er zum Verbrecher wird, die Natur bestimmt es schon vor seiner Geburt. Dann entdeckte er eines Tages im Rahmen einer Versuchsreihe, an der er selbst teilgenommen hatte, dass eine Aufnahme seines eigenen Gehirns genau dieselben Auffälligkeiten aufwies. „Mir war sofort klar, dass meine Theorie falsch sein musste“, erinnert er sich. Warum war er kein Verbrecher geworden, obwohl er doch die Veranlagung dazu offensichtlich mitgebracht hatte. Er sagt heute: Eine liebevolle Umgebung lässt eine solche Veranlagung nicht zum bestimmenden Faktor in einem Lebenslauf werden. Besonders seiner Mutter habe er es zu verdanken, dass er nicht zum Gewalttäter und Verbrecher wurde. Heute gehört er zu den Wissenschaftlern, die davon ausgehen, dass das Zusammenspiel von Veranlagung und sozialer Umgebung dafür verantwortlich ist, wie sich ein Mensch entwickelt.

Diese aus eigener Betroffenheit resultierende Korrektur seiner Position hält Fallon allerdings nicht davon ab, seine Forschungsergebnisse in den Dienst des Militärs zu stellen. Er hat nun herausgefunden, dass nicht alle Soldaten nach traumatischen Erfahrungen bei Kriegseinsätzen bleibende Schädigungen davontragen. Manche erholen sich erstaunlich schnell. Er will diese resilienten Soldaten nun vorher herausfinden, damit das Militär sie gezielt für gefährliche Auslandseinsätze auswählen kann.

Der große Gerhard Mauz, jahrzehntelang Gerichtsreporter des Spiegel, hat vor vielen Jahren im Konflikt zwischen Anlage-Theoretikern und jenen, die bei der Frage nach den Ursachen von Kriminalität auf die sozialen Bedingungen verweisen, eine für mich bis heutige gültige Formulierung gefunden: „Doch angesichts der nicht endgültig zu erschließenden Rolle der Anlagen haben wir um den Einfluss der Umwelt auf die menschliche Entwicklung so zu ringen, als sei ohne jedes Gewicht, in welchem Umfang mit schwer, mit kaum und gar nicht entrinnbaren Anlagefaktoren gerechnet werden muss. Jeder und jede, die an die Justiz geraten, angeklagt oder auf das drängend, was sie oder er für ihr Recht halten – ist eine, ist einer von uns.“ … ► weiterlesen

Dr. Götz Eisenberg ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Er arbeitet als Gefängnispsychologe in der JVA Butzbach. Im Verlag Brandes & Apsel ist Anfang des Jahres sein neues Buch „Zwischen Amok und Alzheimer – Zur Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus“ erschienen.

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Teenager: Soziale Netzwerke könnten auf die Psyche schlagen

Quelle: Cornelia Dick-Pfaff • Wissenschaft aktuell • 11.09.2015

Wer sich online zeitlich wie emotional besonders stark engagiert, leidet häufiger unter psychischen Problemen wie Schlafstörungen und Depressionen.

Manchester (Großbritannien) – In sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter Tag und Nacht erreichbar zu sein, nichts verpassen zu dürfen und stets prompt antworten zu müssen – dieses Bedürfnis geht bei Teenagern verstärkt mit psychischen Problemen einher. Heranwachsende, die diese Form der modernen Kommunikation besonders intensiv nutzen, sind häufiger von Schlafstörungen, Ängsten, vermindertem Selbstwertgefühl und Depressionen betroffen. Ganz besonders trifft das auf diejenigen zu, die sich emotional besonders stark engagieren oder sogar auch nachts online sind, um Nachrichten zu lesen und zu posten. Diese Zusammenhänge zeigt eine kleine Fragebogenstudie auf, die zwei schottische Psychologinnen auf einer Tagung der British Psychological Society in Manchester präsentierten.… ► weiterlesen

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Lehrer am Limit – Machtlosigkeit im Klassenzimmer

Quelle: YouTube-Video von ARD • hochgeladen am 22.08.2013

Anja Reschke hat als „Co-Lehrerin“ vier Wochen lang erfahren, wie machtlos man sich als Lehrerin fühlt, wenn Schüler nicht das tun, was man von ihnen erwartet.

Siehe auch:

►  Lasst die Lehrer in Ruhe!
Pädagogen sind faule Säcke? Fernsehredakteurin Anja Reschke weiß es besser – seit sie selbst in einer Schule unterrichtet hat. Anja Reschke, Die Zeit, 7. Juni 2013

►  Kinder instrumentalisiert?
Ärger um «Panorama»-Reportage über Hamburger Schule, News4teachers, 23.08.2013
Die „Panorama“-Moderatorin Reschke und die Autorin Wärnke haben in ihrer Reportage „Lehrer am Limit“ zeigen wollen, wie es an Schulen wirklich zugeht und was Pädagogen aushalten müssen. Nun hat der Schulleiter mächtig Ärger und auch der NDR steht in der Kritik.

►  Vier Wochen Selbttest – Ihr Höllen-Monat als Lehrerin, Hambg. Morgenpost, 5.6.2013

►  ARD-Film „Lehrer am Limit“: Guten Morgen, Frau Reschke
Was Lehrer aushalten und was sie leisten müssen, das wollte die NDR-Moderatorin Anja Reschke am eigenen Leib erfahren. Sie unternahm eine Abenteuerreise in die Bildungsrepublik Deutschland. Michael Hanfeld, FAZ, 22.08.2013

►  „Lehrer am Limit“ bei Beckmann: Oh, wie gut hat’s Singapur
Sind unsere Pädagogen überfordert? Bei Reinhold Beckmann diskutierten Bildungsexperten über die „Panorama“-Reportage „Lehrer am Limit“. Sie machten die Defizite im deutschen Schulsystem aus, waren ratlos bei den Lösungen und blickten neidvoll nach Schweden, Finnland und Singapur. Christoph Twickel, Spiegel online, 23.08.2013

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6 Gründe, warum die Schule viel zu früh anfängt

Quelle: Gina Louisa Metzler • Huffington Post • 28.09.2014

Bildungspolitiker und Pädagogen haben in den vergangenen Jahrzehnten fast alle Bereiche des Schullebens reformiert, modernisiert – und einer neuen Zeit angepasst. Ganztagsschulen wurden eingeführt, Lehrpläne entrümpelt. Mal war es erfolgreich, mal nicht.

Nur ein Thema wurde bei alledem nie wirklich angepackt: Der Schulbeginn. In den meisten Klassenzimmern müssen die Schüler spätestens um acht Uhr antreten. Manchmal sogar früher. Das quält nicht nur Schüler, Eltern und Lehrer. Es ist ein Relikt aus einer längst vergangenen Gesellschaft. Denn die Regel wurde vor nunmehr 100 Jahren eingeführt. In einer Zeit, in der Mütter Zuhause blieben, während die Männer auf dem Feld oder in der Fabrik arbeiten gingen. Diese Zeit ist vorbei und deshalb müssen wir dringend über einen späteren Schulbeginn reden. Und nicht nur reden, wir müssen handeln – und die enormen Beharrungskräfte überwinden.

Denn es gibt kaum einen vernünftigen Grund, am frühen Schulbeginn festzuhalten.
Aber es gibt 6 gute Argumente dagegen:

1. Mangelnde Leistungsfähigkeit.
2. Mehr Konzentration.
3. Mit Beginn der Pubertät ändert sich der Biorythmus.
4. Schon 20 Minuten mehr Schlaf können einen Unterschied machen.
5. Die Regelung ist schlichtweg nicht mehr zeitgemäß.
6. Schulzeiten rauben Familien gemeinsame Zeit. … ► weiterlesen

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