Quelle: Jakob Augstein • Der Freitag • 05.11.2015
[…] Krise türmt sich auf Krise. Finanzkrise, Eurokrise, Ukrainekrise, Flüchtlingskrise. Die Krise ist der Normalfall geworden. Die Anspannung steigt. In Deutschland brennen die Flüchtlingsheime. Es heißt, die Einwanderer sollen „deutsche Werte“ lernen. Gleichzeitig wird bekannt: die Fußballweltmeisterschaft von 2006, das berühmte Sommermärchen, wurde wahrscheinlich gekauft, und VW, der größte deutsche Industriekonzern, hat gewerbsmäßigen Betrug betrieben. Deutsche Werte? Auf offener Straße wird in Berlin ein Journalist mit den Worten „Du linke Drecksau“ niedergeschlagen. Weimar, denkt man. Fängt es so an? Woran würden wir es merken? […]
Die zeitgenössische Linke kämpft gegen einen unsichtbaren und doch allgegenwärtigen Feind. Das ist ja das Gefährliche am Neoliberalismus: seine Unsichtbarkeit. Jobs, Schulen, Behörden, Krankenhäuser, Universitäten, alles wird dem Gesetz der Ökonomisierung unterworfen. Überall definiert man staatliche, gesellschaftliche, individuelle Aufgaben als Probleme, die man einer optimalen Lösung zuführen muss. Es zählen nur Werte, die sich messen lassen. Governance ersetzt Politik. […]
Es ist eine ideologische Entscheidung, die die Journalisten fällen, wenn sie Effizienz zur wahren Gerechtigkeit erklären. […] Es herrscht das Dogma, linke Themen sind out, und wer sich da noch dranhängt, tickt nicht richtig. Das führt natürlich dazu, dass die unteren Schichten unserer Gesellschaft sich im öffentlichen Diskurs nicht mehr wiederfinden.“ […]
44 Prozent der Deutschen meinen, die Medien würden „von ganz oben gesteuert“ und verbreiteten deshalb „geschönte und unzutreffende Meldungen“, hat jüngst eine Umfrage ergeben. Die Leute irren. Es gibt keine Manipulation von oben. Die Journalisten übernehmen das selbst. […] Schließlich rügte selbst der ARD-Programmbeirat die Berichterstattung als einseitig. … ► weiterlesen